Börner, Gotthold
BiographieVita
Ein bis heute bekannter Winnender ist der Lehrer Gotthold Börner. Er wurde am 10. November 1873 in Winnenden geboren, wo sein Vater Friedrich Börner ein Wollwarengeschäft betrieb und Stricker war. Gotthold war ein Kind aus der dritten Ehe des Vaters mit Pauline Börner, geborene Kiesel, und wuchs mit mehreren Geschwistern auf. Die Familie Börner kam im 17. Jahrhundert aus Thüringen hierher.
Über mehrere Jahre lässt sich seine Ausbildung zum Elementar- und Volksschullehrer in Künzelsau anhand des Winnender Volks- und Anzeigeblattes nachverfolgen. In diesen Ausgaben wurden die Meldungen zu bestandenen Prüfungen Börners veröffentlicht:
- 10. April 1888: Vorprüfung bestanden
- 24. Dezember 1889: Präparandenprüfung im Seminar in Künzelsau bestanden und Aufnahme in das Seminar
- 12. November 1892: Dienstprüfung im Seminar in Künzelsau bestanden
Am 5. Juli 1900 heiratete Gotthold Börner Sophie Magdalene Dingler in Rohrdorf, wo diese am 2. September 1877 geboren worden war. Die Ehe blieb kinderlos. Ab 1909 unterrichtete Börner in Winnenden. Davon zeugen unter anderem einige Klassenfotos mit ihm als Lehrer. Ein Adressbuch von 1924 nennt ihn als Oberlehrer an der Evangelischen Volksschule in Winnenden.
Zusätzlich zu der Rolle, die er als Lehrer in der Stadtgesellschaft einnahm und durch welche er deren Kinder prägte, bekleidete Börner verschiedene Ämter. Er war Mitglied im Gemeinderat, im Kirchengemeinderat, im Verwaltungsausschuss der Paulinenpflege und im Ortsschulrat sowie Leiter des Bezirkslehrervereins Winnenden und im Vorstand des Evangelischen Volksbundes. Er nahm aktiv am gesellschaftlichen Leben teil und setzte sich ein. Dies fand immer wieder Niederschlag im Volks- und Anzeigeblatt. So beteiligte er sich zum Beispiel am Aufruf zu einer Theatergemeinde, in dem es heißt: „Vertreter verschiedener Stände und Berufe erkennen im regelmäßigen Besuch guter Theateraufführungen ein wertvolles Bildungsmittel, das auch geeignet wäre, unsere Arbeitskraft und unsern Lebensmut in der düsteren gegenwärtigen und zukünftigen Lebenslage zu erhalten.“
1919 besuchte Gotthold Börner mit seiner Frau Sophie und einer Delegation des Albvereins den Maler Julius Kornbeck zu dessen 80. Geburtstag in seinem Schlösschen in Oberensingen. Dieser war auch ein Sohn der Stadt und es gibt im Veranstaltungsarchiv des Virtuellen Stadtmuseums eine Ausstellung über ihn. Außerdem verfasste Börner einen mehrteiligen Beitrag über den Maler, der kurz vor dem Geburtstagsbesuch im Volks- und Anzeigeblatt erschien. Kornbeck bedankte sich daraufhin in einem Brief vom 21. Juli 1919 an Börner für dessen „eingehenden und liebevollen Aufsatz in dem Winnender Tageblatt“ und den Gesang des Albvereins zu seinem Geburtstag.
Am 11. Oktober 1931 verstarb Gotthold Börner nach langjährigem Leiden in seiner Winnender Wohnung und wurde am 14. Oktober auf dem hiesigen Stadtfriedhof beigesetzt. Sein Grab, in dem später auch seine Frau bestattet wurde und das ein großes Steinkreuz zierte, existierte bis 2009. Aus dem Ende Oktober 1931 im Volks- und Anzeigeblatt erschienenen Nachruf geht nochmals hervor, welch große Bedeutung Oberlehrer Börner in der Stadt hatte. Der Verfasser war sich sicher, dass diese Persönlichkeit auch in Zukunft noch von Interesse sein würde. Börner wurde „unter großer Teilnahme der Bevölkerung sowie seiner Amtsgenossen zu Grabe getragen. Eine ergreifende Grabrede und viele ehrende Nachrufe bekundeten, welch große Lücke durch den Heimgang dieses Mannes entstanden ist.“ Er wird als tief religiöser Mensch beschrieben, der seinen Mitmenschen dienen und mit ihnen im Einvernehmen auskommen wollte. Beispielsweise war es ihm ein Anliegen, nach den Ersten Weltkrieg „Beziehungen zu den in Amerika lebenden Winnendern wieder herzustellen und ihr Herz für die deutsche Not zu erwärmen. Manche Dollarnote kam durch seine Hand in die Paulinenpflege, die dadurch über die größten Nöte hinweggeführt wurde.“ In seiner Todesanzeige wird um Geldspenden für Notleidende anstelle von Blumen gebeten.
Auch wenn er ohne Nachkommen verstarb, geriet er durch sein Werk „Winnenden in Sage und Geschichte“, das er über die Winnender Stadtgeschichte verfasst hatte, bis heute nicht in Vergessenheit.
Das Buch „Winnenden in Sage und Geschichte“
„Über ein Jahrzehnt hat er unermüdlich in vielen Chroniken und Akten die Vergangenheit Winnendens erforscht und die Ergebnisse seiner Arbeit in diesem Buche niedergelegt“, berichtet der Nachruf im Volks- und Anzeigeblatt über den dort als Chronisten bezeichneten Börner. Er hat also viel Zeit und Arbeit in die Ergründung von Winnendens Geschichte investiert und gründlich recherchiert. Sein Text erschien zunächst in Form von Vorabdrucken, die dem Volks- und Anzeigeblatt als heimatgeschichtliche Beilage beigefügt waren.
1923 schließlich veröffentlichte Börner das Buch mit dem Titel „Winnenden in Sage und Geschichte“ im Selbstverlag. Es ist in zwölf chronologisch geordnete Oberkapitel mit insgesamt 120 Teilkapiteln gegliedert. Sie reichen von der Entstehung der Landschaft bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Gleich im Vorwort des Verfassers wird klar, dass es ihm darum ging, die Geschichte Winnendens zu erzählen und so die Heimatverbundenheit seiner gegenwärtigen wie künftigen Landsleute zu stärken.
Mangels Schriftlichkeit der ersten Siedler konnte Börner keine von diesen Akteuren verfassten Quellen finden und nutzen. Auch archäologische Spuren sind nicht flächendeckend bekannt. Börner behalf sich, indem er das Wissen seiner Zeit zur Geschichte anderer Orte heranzog und beschrieb, wie es in Winnenden und Umgebung hätte gewesen sein können. Auf diese phantastischen Teile dürfte sich der Titelteil der Sage beziehen.
Wenn er hiesige Quellen zur Verfügung hatte, stützte der Autor sich auf diese und band sie in sein Werk ein. Als Erstes begegnet uns so mit Abbildung der heute als „Hanweiler Frosch“ bekannte Dachschädlerlurch aus der Keuperzeit.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Dichte der Quellen mit der Zeit zunimmt. Aufgrund des Winnender Stadtbrandes im Jahr 1693, zu dem es im Virtuellen Stadtmuseum einen Beitrag gibt, sind allerdings die Originalquellen von hier im Wesentlichen vernichtet. Deshalb verwendete Börner auch Unterlagen aus anderen Archiven und ergänzende Quellen. Das 37. Teilkapitel befasst sich mit dem Jakobusaltar in der Schloßkirche – einer gegenständlichen Quelle, die den Brand überstanden hat. Bei den schriftlichen Quellen nutzte Börner zum Beispiel die in Latein verfasste Stadtbeschreibung von David Pistorius aus dem Jahr 1605 und, darauf aufbauend, die mit Ergänzungen versehene Übersetzung des Stadtpfarrers Johann Ulrich Wirth von 1850 und 1880. Aus dem Lagerbuch der Kellerei Winnenden, das 1524 angefertigt wurde und sich heute im Hauptstaatsarchiv Stuttgart befindet, gab Börner ganze Passagen wieder, um die Rechts- und Besitzverhältnisse in Winnenden damals aufzuzeigen. Ebenfalls aus Akten des Hauptstaatsarchivs erfahren wir beispielsweise von Streitigkeiten zwischen dem Deutschen Orden und dem Landesherrn über die Speisung der herzoglichen Jäger und Forstknechte. Nachdem der Deutsche Orden eine Jagdgruppe nicht eingelassen und versorgt hatte, erging ein Befehl des Herzogs: „wessen sich der Kommenthur zu Winiden gegen die württembergischen Jäger und Fälkner mit der Atzung zu verhalten habe“. Schließlich gelangte Börner zu der Zeit, die er selbst miterlebt hat. Entsprechend mehr war ihm bekannt. Sein Schwerpunkt lag dabei auf dem Ersten Weltkrieg. Er widmete ihm ein gesamtes Oberkapitel. Das Buch endet mit den sehr persönlichen Aufzeichnungen von Soldaten, die im Krieg starben.
Börner arbeitete also sehr nah an den Quellen, wenn welche vorhanden waren, und zitierte aus ihnen. Leider unterliefen ihm dabei auch Fehler. Zwei Beispiele: Im 28. Teilkapitel schrieb er, Kaiser Heinrich II. hätte im Jahr 1193 eine Urkunde bestätigt. Kaiser Heinrich II., ein Ottone, starb jedoch bereits 1024. Gemeint ist sicher Heinrich der VI. aus dem Geschlecht der Staufer. Beim großen Stadtbrand von 1693, auf den er im 67. Teilkapitel einging, transkribierte er aus Akten des Hauptstaatsarchivs und nannte in seinem Buch eine falsche Schadenssumme für die Stadt Winnenden: Im Originaldokument ist von 243.741 Gulden die Rede, während Börner 223.741 Gulden angab. Für die Quelleninterpretation ist eine solche Differenz nicht unerheblich.
Immer wieder widmete der Autor einzelnen Winnender Persönlichkeiten wie dem Maler Julius Kornbeck und dem Missionar Johann Gottlieb Christaller eigene Texte. Zudem berichtete er im 95. Teilkapitel in kurzen Absätzen über den weiteren Werdegang hiesiger Schüler. Interessanterweise erwähnte Börner hier auch die schon ausführlich behandelten Personen noch einmal. Die Entstehung zweier wichtiger Winnender Institutionen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, stellte Börner in jeweils einem Teilkapitel vor: die Heilanstalt Winnental und die Paulinenpflege.
Zur Veranschaulichung des Inhalts nutzte Gotthold Börner in seinem Werk verschiedene Formen der Darstellung: Stammbäume, Tabellen, Zeichnungen etwa mit Stadtansichten (viele stammen von dem Maler Carl Dobler), Fotos und einen Stadtplan. Börner selbst wohnte in der Schloßstraße 27 und damit nicht weit entfernt von der Heilanstalt und der Paulinenpflege, wie auf dem Plan ersichtlich ist.
Seit seinem Erscheinen gehört das Werk als „der Börner“ zu Winnenden, und es wird häufig aus ihm zitiert. Bereits Börners Zeitgenosse Carl Dobler, dessen Leben und Werk im Virtuellen Stadtmuseum ebenfalls gewürdigt wird, hat „Winnenden in Sage und Geschichte“ auf einem Stillleben verewigt.
Im Jahr 1999 kam es sogar zu einer Neuauflage, die von dem Winnender Buchhändler und Politiker Willi Halder initiiert wurde. Dem Text von Gotthold Börner sind einige Vorworte vorangestellt. Aus ihnen geht hervor, dass der Nachdruck erschien, um den Menschen das Werk wieder zugänglich zu machen, da es inzwischen zu einer Rarität geworden war. Es soll „das Bewußtsein der Heimatverbundenheit gestärkt und die wechselvolle Geschichte der Stadt mit den aus ihr hervorgegangenen berühmten Persönlichkeiten ins Gedächtnis zurückgerufen werden“.
Die Vorworte ordnen das Buch und die Zeit, in der Börner lebte und dachte, aber auch ein. Damals, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Kaiserzeit, herrschten andere Vorstellungen von der Welt als heute. So war das Nationalgefühl noch sehr stark. Und Frankreich galt, bedingt durch die zurückliegende Kriegserfahrung, als Feind. Beides ist dem Werk „Winnenden in Sage und Geschichte“ anzumerken – im Text und anhand von Doblers Zeichnungen. Genannt sei zum Beispiel das Motiv, das den Abzug französischer Soldaten aus Höfen im Jahr 1796 zeigt. Der frühere Oberbürgermeister Karl-Heinrich Lebherz schrieb in seinem Vorwort von „unverhüllten Hinweisen auf offene Feindseligkeiten mit Frankreich“.
Auf die Lücken, die Gotthold Börner gerade auch im Bereich des Mittelalters noch hatte und über die inzwischen durch weitere Forschung bessere Kenntnis vorhanden ist, wies der ehemalige Bürgermeister von Birkmannsweiler, Friedrich Seibold, hin. Und er machte deutlich: „Zahlreiche Passagen entsprangen der Fantasie des Verfassers.“ Doch stellte er auch klar, dass Börners Leistung Anerkennung und Verbreitung verdiene, „weil er die Lebensbedingungen unserer Vorfahren drastisch und eindrucksvoll herausgearbeitet hat, ihren Alltag, ihre bittere Armut, ihre Abhängigkeit und Hilflosigkeit“ und die jahrhundertelange Furcht vor dem Einfall von Feinden. Außerdem hoffte Seibold, dass der Leser die „europäische Länderneuordnung besser versteht und bejaht, weil sie letztlich die einzige Alternative gegen militärische Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Völkern darstellt“, und so „Dankbarkeit für Frieden, Freiheit und Lebensqualität, wie sie unserer Zeit geboten sind“ empfindet. Vor diesen Hintergründen ist das Buch zu lesen und verstehen.
Annika Niedenhoff