1. (Baden-) Württemberg_1973 Große Kreisstadt

Teilnehmende am Festakt anlässlich der Erhebung Winnendens zur Großen Kreisstadt im Albrecht-Bengel-Haus. Foto: Oskar Kober.

Stadtarchiv Winnenden, Bildarchiv

50 Jahre Große Kreisstadt Winnenden

Einleitung

2. (Baden-) Württemberg_1972 Urkunde

Der Beschluss der Landesregierung, Winnenden zur Großen Kreisstadt zu erklären, erfolgte am 21. November 1972. Foto: Oskar Kober.

Stadtarchiv Winnenden, Bildarchiv

Mit Wirkung vom 1. Januar 1973 wurde Winnenden zur jüngsten Großen Kreisstadt im neu entstandenen Rems-Murr-Kreis. Beim Festakt am 17. Januar überbrachte der baden-württembergische Innenminister Karl Schiess Oberbürgermeister Hermann Schwab die Ernennungsurkunde der Landesregierung. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Darstellung stehen die Feierlichkeiten anlässlich der Erhebung. Eingegangen wird aber auch darauf, welche Vorgeschichte sie hatte und wie später an sie erinnert wurde.

Vorgeschichte

Im Jahr 1808, zur Zeit des Königreichs Württemberg, verlor Winnenden seine Funktion als Oberamtsstadt und wurde an das Oberamt Waiblingen angegliedert. Vor diesem Hintergrund bedeutete die Erklärung zur Großen Kreisstadt eine Aufwertung. Das Geschehnis war eingebettet in den Prozess der Gemeindereform in Baden-Württemberg, der sich zwischen 1968 und 1975 vollzog. Er hatte das Ziel, leistungsfähigere Gemeinden zu schaffen, was durch größere Verwaltungseinheiten erreicht werden sollte. 

„Testfall“ der Gemeindereform in Winnenden war die Eingliederung Höfens zum 1. Januar 1971. Am 1. Dezember des gleichen Jahres folgte die Eingemeindung von Baach, Bürg und Hertmannsweiler. Vier Wochen später, am 1. Januar 1972, zogen Breuningsweiler und Hanweiler nach. Eine Erhebung zur Großen Kreisstadt hing nun von zwei Faktoren ab: Die Kapazitäten in der Verwaltung mussten vorhanden sein und die Einwohnerzahl musste mindestens 20.000 betragen. Während die erste Bedingung aus Sicht der Verantwortlichen erfüllt war, bestand „hinsichtlich der Einwohnerzahl noch eine Differenz mit der Fortschreibung des statistischen Landesamtes“, wie es im Gemeinderatsprotokoll zur Sitzung am 25. Januar 1972 heißt. Nichtsdestotrotz beschloss der Gemeinderat an diesem Tag einstimmig, beim Land die Erklärung Winnendens zur Großen Kreisstadt zu beantragen. Um die Jahresmitte überschritt die Stadt die geforderte Mindesteinwohnerzahl. Am 21. November entschied die Landesregierung schließlich, Winnenden mit Jahresbeginn 1973 zur Großen Kreisstadt zu machen.

9. (Baden-) Württemberg_1972 Beschluss GR

Am 25. Januar 1972 beschloss der Gemeinderat ohne Gegenstimme, bei der baden-württembergischen Landesregierung einen Antrag auf Erklärung Winnendens zur Großen Kreisstadt einzureichen.

Stadtarchiv Winnenden, Protokoll Gemeinderat öffentlich 1972, Teil I

Die Feierlichkeiten anlässlich der Erhebung zur Großen Kreisstadt

Das stadtgeschichtlich bedeutsame Ereignis wurde am 17. Januar 1973 besonders gefeiert. Zunächst fand nachmittags im Albrecht-Bengel-Haus eine Sondersitzung des Gemeinderats statt, an der zahlreiche Gäste teilnahmen. Genannt sei Bürgermeister Henry Dujol aus Winnendens französischer Partnerstadt Albertville. Hauptredner waren Oberbürgermeister Schwab und Innenminister Schiess. Schwab sah Winnenden vor große Aufgaben und Erwartungen gestellt. Die Winnender Zeitung vom 18. Januar 1973 zitiert ihn mit den Worten: „Gemeinderat und Verwaltung werden alles tun, um die Erwartungen zu erfüllen.“ Der Innenminister verwies darauf, dass die Stadt „eine günstige Lage und Kraft und Stärke durch Industrieansiedlung erlangt“ habe.

Die Amtskette für den Oberbürgermeister war in der Goldschmiedestadt Pforzheim hergestellt worden. Hermann Schwab erhielt sie von Stadtrat Julius Grässer überreicht. Grußworte sprachen unter anderen Regierungspräsident Friedrich Roemer, Werner Bertheau als Amtsverweser des Rems-Murr-Kreises und der Leutenbacher Bürgermeister Ernst Schniepp. Für die Zukunft hoffte Neu-Bürgermeister Karl-Heinrich Lebherz auf einen „Rathausneubau als Folgeeerscheinung der Verwaltungsreform“. Musikalisch umrahmt wurde die Sitzung von der Stadtjugendmusikschule. Danach gab es in der Turn- und Festhalle Höfen für die geladenen Gäste ein Buffet.

22. (Baden-) Württemberg_1973 Artikel WZ

Die Winnender Zeitung berichtete am 18. Januar 1973 ausführlich über die Feierstunde im Albrecht-Bengel-Haus.

Stadtarchiv Winnenden

Bei der zweiten großen Veranstaltung des Tages, einem Festabend in der Stadthalle, präsentierten sich verschiedene kulturelle Akteure. Für musikalische Unterhaltung sorgten Kammersänger Otto von Rohr, der von Helga Struwe am Klavier begleitet wurde, die Stadtkapelle Winnenden, das Konzertorchester und nochmals die Stadtjugendmusikschule. Das Konzertorchester, das inzwischen seit mehr als 75 Jahren besteht, spielte – dirigiert von Albert Hähnle – die Ouvertüre zur Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Eine Kooperation aus mehreren Gruppen, darunter die Ballettschule Schwarz und die Judo-Schule des TSV Winnenden, entführte das Publikum zu einer fantastischen Zeitreise in die Vergangenheit.  

Ebenfalls in Zusammenhang mit den Feierlichkeiten anlässlich der Erhebung Winnendens zur Großen Kreisstadt standen eine Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Bach in der Schloßkirche am 14. Januar 1973 und ein Konzert der Stuttgarter Philharmoniker wiederum in der Stadthalle am 21. Januar.

32. (Baden-) Württemberg_1973 Artikel WZ

Artikel über den Festabend in der Winnender Zeitung vom 19. Januar 1973.

Stadtarchiv Winnenden

Ausblick

Ihren Abschluss fand die Gemeindereform in Winnenden mit der Eingliederung von Birkmannsweiler zum 1. Januar 1974. In der Folgezeit setzte sich der Aufschwung in der Stadtentwicklung fort, der nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Die Einwohnerzahl nahm kontinuierlich zu, was einen Ausbau der Infrastruktur erforderte. Investiert wurde zum Beispiel in ein neues Rathaus, in Kindergärten, Schulen, Sporthallen und weitere öffentliche Einrichtungen. Heute ist Winnenden ein dynamisches Unterzentrum mit mittelzentralen Funktionen im gesundheitlichen, schulischen und wirtschaftlichen Bereich.

33. (Baden-) Württemberg_1974 Birkmannsweiler

Oberbürgermeister Hermann Schwab und Bürgermeister Friedrich Seibold stießen auf die Eingemeindung Birkmannsweilers nach Winnenden an, die zum 1. Januar 1974 in Kraft trat. Foto: Oskar Kober.

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36. (Baden-) Württemberg_1983 Sonderumschlag

Sonderumschlag der Jungen Briefmarkenfreunde Winnenden.

Stadtarchiv Winnenden, Boorberg Nr. 361.51

An den Höhepunkt des Prozesses der Gemeindereform wurde später immer wieder erinnert. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums 1983 stellte die Stadt ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm zusammen. So fand am 11. Juni im Stadtgarten ein Fest der Nationen mit folkloristischen Beiträgen statt. Am 8. Oktober gastierten in der Stadthalle unter der Leitung von Georg Ratzinger, dem Bruder des am Silvestertag 2022 verstorbenen emeritierten Papstes Benedikt XVI., die Regensburger Domspatzen.

Auch zum 25-jährigen Jubiläum 1998 gab es verschiedene kulturelle Angebote, etwa eine Wanderausstellung im Rathaus-Foyer zum Thema „Die demokratische Revolution an Rems und Murr 1848/49“ oder eine Opernaufführung im Schlosspark. Über die Hintergründe der Eingemeindungen erschien eine zwölfteilige Artikelserie im Amtsblatt „Blickpunkt“. Zudem überließ die Unternehmerfamilie Kärcher der Stadt ein Gemälde des Landschaftsmalers Julius Kornbeck aus ihrem Privatbesitz als Dauerleihgabe.

39. (Baden-) Württemberg_1998 Kornbeck-Gemälde

Oberbürgermeister Fritz nahm aus dem Privatbesitz der Unternehmerfamilie Kärcher das Gemälde „Kühe im Wasser“ des Landschaftsmalers Julius Kornbeck entgegen. Foto: Kurt Höpfer.

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40. (Baden-) Württemberg_2013 Artikel WZ

Der städtische Neujahrsempfang des Jahres 2013 war verbunden mit einem Festakt zum 40-jährigen Jubiläum der Erhebung zur Großen Kreisstadt. Der Bericht der Winnender Zeitung datiert vom 18. Januar.

Stadtarchiv Winnenden

Der städtische Neujahrsempfang am 17. Januar 2013, dem 40. Jahrestag der Feierlichkeiten von 1973, war mit einem Festakt verbunden, bei dem Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth alle früheren Bürgermeister der sieben heutigen Stadtteile begrüßen konnte. Glückwünsche seitens des Landes überbrachte Regierungspräsident Johannes Schmalzl.

Wer noch mehr über den Ablauf der Eingemeindungen zwischen 1971 und 1974 wissen möchte, hat hier die Möglichkeit, sich im Themenraum „Die Stadtteile“ die Präsentation zur Eingliederung Höfens anzuschauen oder im Themenraum „Persönlichkeiten“ in die Interviews mit den Zeitzeugen Karl- Heinrich Lebherz und Friedrich Seibold hineinzuhören. Seibold war bis Ende 1973 Bürgermeister von Birkmannsweiler.

Filmprojekt mit Altbürgermeistern

Fast 50 Jahre nach Abschluss der Gemeindereform in Winnenden entstand in Zusammenarbeit von Stadtarchiv und Initiative Stadtmuseum im Historischen Verein ein Film zu diesem Thema. Am 31. August 2023 trafen sich im Hotel-Restaurant „Schöne Aussicht“ in Bürg die ehemaligen Bürgermeister von Baach, Birkmannsweiler, Breuningsweiler, Bürg und Hertmannsweiler sowie der frühere Winnender Oberbürgermeister Karl-Heinrich Lebherz zu Dreharbeiten. Franz Stark, Friedrich Seibold, Bernd Fischer, Wolfgang Bauer und Wolfgang Schmid äußerten im Gespräch mit Diethard Fohr von der Initiative Stadtmuseum, wie sie den Eingemeindungsprozess erlebt hatten. Aus der Perspektive Winnendens berichtete Karl-Heinrich Lebherz, der damals Erster Beigeordneter gewesen war. Herausgekommen ist ein einzigartiges Zeitdokument von fast 80 Minuten Länge. Öffentlich gezeigt wurde das Video am 23. Oktober 2024 im Großen Sitzungssaal des Winnender Rathauses.