Die Eiche im Schelmenholzwald, an der Nikolaj Magerko und Aleksej Kruschinskij am 13. Juli 1944 mutmaßlich erhängt wurden. Foto: Michaela Couzinet-Weber.
Hinrichtung durch die Geheime Staatspolizei
Das Schicksal zweier ukrainischer Zwangsarbeiter
Einleitung
Am 13. Juli 1944 wurden die ukrainischen Zwangsarbeiter Aleksej Kruschinskij und Nikolaj Magerko durch die Geheime Staatspolizei im Schelmenholzwald erhängt. Sie waren der Flucht und des Diebstahls beschuldigt worden. Die Exekution erfolgte ohne richterliches Urteil. Das Verfahren von den Ermittlungen über die Anordnung der Hinrichtung bis zu deren Durchführung lag in den Händen der Gestapo. Zwischen Februar 1941 und März 1945 wurden in Württemberg und Hohenzollern mindestens 80 sowjetische und auch polnische Zwangsarbeiter staatspolizeilich exekutiert. Ihr Delikt: zumeist sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen und Diebstähle im Schutz der Verdunklung.
Diese Ausstellung entstand aus Anlass des 80. Todestags von Magerko und Kruschinskij. Schwerpunktmäßig thematisiert sie die Vorgeschichte und den Ablauf der Hinrichtung der beiden Ukrainer. Eingegangen wird ferner auf die Erinnerung an das Geschehen und Versuche der Aufarbeitung insbesondere in der Winnender Stadtgesellschaft nach 1945. Nicht unerwähnt gelassen werden soll, dass die wichtigsten vorhandenen Quellen sich an manchen Stellen widersprechen. Offene Fragen werden also bleiben.
Aleksej Kruschinskij und Nikolaj Magerko als Zwangsarbeiter in Winnenden
Während des Zweiten Weltkriegs mussten im Deutschen Reich über 13 Millionen Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und aus ihrer Heimat in den deutsch besetzten Gebieten verschleppte Zivilisten arbeiten. Der Einsatz insbesondere von Polen und Bürgern der Sowjetunion widersprach zwar den Grundsätzen der nationalsozialistischen Rassenpolitik, war aber für die Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft essentiell. Fragen ihrer Beschäftigung, Unterbringung und Lebensführung regelte ein Sonderrecht: die „Polen-Erlasse“ vom 8. März 1940 und, darauf aufbauend, die „Ostarbeiter-Erlasse“ vom 20. Februar 1942. Die Überwachung der fremden Arbeitskräfte entwickelte sich im Krieg zum Haupttätigkeitsfeld der Geheimen Staatspolizei. Bei der Staatspolizeileitstelle Stuttgart gab es laut Geschäftsverteilungsplan vom 1. April 1944 innerhalb des Referats „Opposition“ ein Sachgebiet für „Ausländische Arbeiter ohne Ostarbeiter“ und ein Sachgebiet für „Ostarbeiter, sowjetrussische Kriegsgefangene“.
Das Thema Zwangsarbeit in Winnenden zwischen 1939 und 1945 wurde bereits im Rahmen der stadtgeschichtlichen Buchreihe „Winnenden gestern und heute“ erforscht. In ihrem 2003 in Band 9 der Reihe veröffentlichten Aufsatz „Verantwortung darf sich nicht auflösen“ beziffert Renate Winkelbach die Zahl der Fremdarbeiter in der heutigen Kernstadt auf mindestens 1.205 Personen. Beschäftigt waren sie hauptsächlich bei Landwirten, Handwerkern und in Fabriken. Mutmaßlich über 40 Prozent der Eingesetzten unterfielen ihrer Nationalität nach dem erwähnten Sonderrecht. Für sie galt eine Kennzeichnungspflicht. Zahlreiche Verbote schränkten ihr alltägliches Leben ein. Beispielsweise war es ihnen nicht erlaubt, bei Privatleuten zu wohnen oder ihren Aufenthaltsort zu verlassen.
Die Ukrainer Aleksej Kruschinskij und Nikolaj Magerko kamen im Juli 1942 zur Firma Alfred Kärcher. Sie wurden in einer Baracke auf dem Betriebsgelände einquartiert. Das Formular, mit dem ihre Anmeldung bei der Stadt Winnenden erfolgte, hat sich im Stadtarchiv erhalten. Demnach wurde Magerko am 25. September 1925 als Sohn des Steinsetzers Michail Magerko in Nowaja Wodolaga im Gebiet Charkow geboren und war von Beruf Instrumentenschlosser. Der Sägerei-Arbeiter Kruschinskij kam am 22. November 1923 in Sofijewka bei Winniza zur Welt. Als sein Vater wird Pawel Kruschinskij genannt. Sonstige schriftliche Quellen aus der Zeit ihrer Beschäftigung bei der Firma Kärcher sind in Winnenden nicht überliefert.
Die Erhängung am 13. Juli 1944 und ihre Vorgeschichte
Offenbar am 8. März 1944 flüchteten Aleksej Kruschinskij und Nikolaj Magerko aus dem Lager. Ihren Abgang zeigte die Schutzpolizeidienstabteilung Winnenden zuständigkeitshalber bei der Gestapo-Zentrale in Stuttgart an. Die weiteren Ermittlungen führten am 9. Mai zur Ergreifung der beiden Ukrainer. Ihnen wurden mehrere schwere Diebstähle zur Last gelegt. Aus der Exekutions-Ankündigung der Staatspolizeileitstelle Stuttgart vom 9. Juli 1944 geht hervor, dass sie „unter Ausnützung der Verdunkelung 10 nachgewiesene Einbrüche verübt und dabei neben etwa 2000,- RM Bargeld, Kleidungsstücke, Schuhe, Uhren, Ringe und anderen Schmuck sowie Lebens- und Genussmittel für ungefähr 1800,- RM entwendet“ hätten. Der damalige Chef der Schutzpolizeidienstabteilung Winnenden, Wilhelm Hirneise, gab nach 1945 an, einige Tage vor der Hinrichtung sei Gottfried Mauch, der Ostarbeiter-Referent bei der Gestapo in Stuttgart, im Polizeirevier vor Ort erschienen und habe geäußert, bei ihrer Festnahme hätten Magerko und Kruschinskij „ca. RM 10 000 bei sich gehabt“. Da zu den Delikten keine ergänzenden schriftlichen Unterlagen mehr existieren, kann nicht überprüft werden, inwieweit das zutreffend ist. Möglicherweise wurde der Wert der gestohlenen Gegenstände von der Gestapo bewusst hoch angesetzt, um die Erhängung zu rechtfertigen.
Die erwähnte Exekutions-Ankündigung erreichte den Winnender Bürgermeister Josef Huber, in seiner Funktion als „Polizeiverwalter“, am 11. Juli 1944. Darin heißt es: „Auf Befehl des Reichsführers SS werden die Ostarbeiter Magerko und Kruschinski am 13.7.1944, 17 Uhr, in Winnenden erhängt.“ Das Dokument trägt die Unterschrift von Friedrich Mußgay, der seit 1941 Leiter der Staatspolizeileitstelle Stuttgart war. Sehr wahrscheinlich hatte Mußgay beim Reichssicherheitshauptamt die Exekution beantragt. Sobald ihm die Hinrichtungs-Anordnung aus Berlin vorlag, informierte er Bürgermeister Huber von der bevorstehenden Tötung auf Winnender Markung.
Wilhelm Hirneise sagte nach dem Zweiten Weltkrieg aus: „Tatort des Geschehens war das Waldstück links der Bundesstrasse 14 von Winnenden in Richtung Waiblingen, ca. 1 km ausserhalb der Stadt Winnenden.“ Wohl bedingt durch die mündliche Überlieferung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ist in der Bevölkerung bis heute davon die Rede, dass die beiden Ukrainer an der „Hindenburgeiche“ erhängt worden seien.
An den Ablauf der Hinrichtung erinnerte sich der Augenzeuge Hirneise folgendermaßen: „Die Exekution wurde von einem Kommando der Geheimen Staatspolizei – Staatspolizeileitstelle in Stuttgart – bestehend aus ca. 6 SS Männern in Uniform, sowie des Referenten der russischen Zivilarbeitern bei der Geheimen Staatspolizei – Mauch, im Beisein von 20-30 russischen Zivilarbeitern und Obermedizinalrat Dr. Notz, vom Gesundheitsamt Waiblingen und Kreisführer der Gendarmerie Haug durchgeführt.“ Unter den Zwangsarbeitern, die das Geschehen mit ansehen mussten, war der aus Weißrussland stammende Grigori Jermalovic. Er besuchte im Jahr 2000 das Stadtarchiv Winnenden und schilderte, wie die Männer in der Schlinge starben.
Noch am Tag der Exekution meldete die Staatspolizeileitstelle Stuttgart den Tod Magerkos und Kruschinskijs beim Standesamt Winnenden. Die Sterbefallanzeigen sind unterschrieben von Gottfried Mauch. Bürgermeister Huber übernahm die Funktion eines Standesbeamten und beurkundete die Einträge im Sterbebuch. Beerdigt wurden die Zwangsarbeiter auf dem Stadtfriedhof. Das Sammelgrab besteht bis heute und wird von der Stadt Winnenden gepflegt.
Erinnerung an die Exekution und Versuche der Aufarbeitung nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach Kriegsende ergingen Befehle der Alliierten zur Erfassung ausländischer Staatsangehöriger in Deutschland. In diesem Zusammenhang wurden unter anderem öffentliche Einrichtungen und Versicherungen ersucht, Dokumente über die seit 1939 in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich registrierten Ausländerinnen und Ausländer herauszugeben. Auch das Bürgermeisteramt Winnenden erhielt Anfragen, die sich auf das Ausländersuchverfahren bezogen. Aleksej Kruschinskij und Nikolaj Magerko betreffend, machte es Angaben zur Grabstätte und übermittelte die Sterbeurkunden in Kopie. Die Unterlagen sind inzwischen auf der Internetseite des Internationalen Zentrums für NS-Opfer im hessischen Bad Arolsen abrufbar. Der Link lautet: https://arolsen-archives.org.
In den Entnazifizierungs- und Gerichtsverfahren gegen die Personen, die hier genannt werden, war die Hinrichtung der beiden ukrainischen Zwangsarbeiter kaum ein Thema. Die Winnender Bevölkerung wusste zwar von dem Geschehen an sich, doch blieben ihr die Details im Wesentlichen verborgen. Gerüchte konnten entstehen. Ein solches Gerücht bildete denn auch die Grundlage für eine Anzeige. Im Juni 1961 meldete sich bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Mann, der zum Zeitpunkt der Exekution Patient in der Heilanstalt Winnental gewesen war, und stellte die Frage: „Wissen Sie etwas davon, dass gegen Kriegsende am Ortsausgang von Winnenden – Straße nach Waiblingen – ein Pole aufgehängt wurde?“ Daraufhin wurden Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Mordes eingeleitet. Zentral in diesem Verfahren war die Aussage des schon mehrfach zitierten Wilhelm Hirneise, der 1944 die Schutzpolizeidienstabteilung Winnenden geleitet hatte. Er gab zu Protokoll, ihm sei „kein Fall bekannt geworden, dass gegen Kriegsende am Ortsausgang von Winnenden an der Strasse nach Waiblingen ein Pole aufgehängt wurde. Es dürfte sich um den von mir bereits erwähnten Fall handeln, […], bei dem die russischen Zivilarbeiter Magerko und Kruschinski im Staatswald Schelmenholz Markung Winnenden erhängt wurden.“ Die Ermittlungsakte befindet sich heute im Staatsarchiv Ludwigsburg. Letztendlich wurde das Verfahren eingestellt, und die Hinrichtung geriet in Vergessenheit.
Ab den 1990er-Jahren erreichten die Verwaltungsspitze verschiedentlich Aufforderungen, die NS-Herrschaft in Winnenden aufzuarbeiten. Veröffentlichungen dazu in der stadtgeschichtlichen Buchreihe „Winnenden gestern und heute“ folgten. Der 1995 herausgegebene sechste Band der Reihe befasst sich mit Aspekten wie der Euthanasie oder der Vorgeschichte des Nationalsozialismus in der Stadt. In seinem Beitrag über „Winnenden im Zweiten Weltkrieg“ spricht der Militärhistoriker Gerhard Hümmelchen erstmals explizit die Erhängung der Ukrainer an. Er bezieht sich dabei auf die im Stadtarchiv vorliegenden schriftlichen Quellen. Hümmelchen war von 1980 bis 1994 für die CDU Mitglied im Winnender Gemeinderat. Für sein Engagement erhielt er die Bürgermedaille in Silber. Hingewiesen wurde bereits auf den Aufsatz von Renate Winkelbach zum Thema Zwangsarbeit in Band 9 aus dem Jahr 2003. Im Zusammenhang mit der Exekution von 1944 lässt sie einige Zeitzeugen zu Wort kommen.
Im Oktober 2010 trat die Stadt Winnenden durch einen Beschluss des Verwaltungsausschusses des Gemeinderats der internationalen Aktion „Cities for Life“ (Städte für das Leben) bei. Dieses Netzwerk wurde von der christlichen Laienbewegung Sant’Egidio initiiert, die seit 2002 jeweils am 30. November den Welttag der Städte für das Leben durchführt. Der Aktionstag soll dazu beitragen, einen Dialog mit der Zivilgesellschaft in Gang zu setzen und sie für die Menschenwürde als Wert wie als Rechtsbegriff zu sensibilisieren.
Anlässlich des 70. Todestags von Aleksej Kruschinskij und Nikolaj Magerko fand am 14. Juli 2014 auf dem Stadtfriedhof eine kleine Gedenkfeier statt, bei der Vertreter der Stadt und der Firma Kärcher anwesend waren. Nun wird es zum 80. Jahrestag am 13. Juli 2024 erneut eine Gedenkveranstaltung geben – diesmal im Schelmenholzwald, am Ort des Geschehens. Für den Hinweis auf die Eiche sei Frau Brigitte Gutemann herzlich gedankt. Vorbereitet wurde die Feier von einem Projektteam aus Hauptamts- und Archivleitung, Vertreter/innen des Historischen Vereins mit Initiative Stadtmuseum und des Arbeitskreises christlicher Kirchen sowie des Kärcher-Firmenarchivars.
Auch über Winnenden hinaus wird an die letzte Hinrichtung auf Markung der Stadt erinnert. Im Gedenkort Hotel Silber in Stuttgart, der zum Haus der Geschichte Baden-Württemberg gehört, gibt es eine Dauerausstellung zu Polizei, Gestapo und Verfolgung. Sie beleuchtet unter anderem die Rolle der Geheimen Staatspolizei bei der Hinrichtung polnischer und sowjetischer Zwangsarbeiter in Württemberg und Hohenzollern. Auf das traurige Ereignis in Winnenden wird in der Präsentation Bezug genommen.
Widersprüche und offene Fragen
Die im Stadtarchiv vorhandenen schriftlichen Quellen zu der Exekution weisen in sich einige Widersprüche auf. So weichen die Angaben in den Sterbefallanzeigen, die von der Staatspolizeileitstelle Stuttgart 1944 beim Standesamt Winnenden eingereicht wurden, teilweise von denjenigen in den Anmeldebögen aus dem Jahr 1942 ab. Bei Aleksej Kruschinskij betrifft das Beruf, Geburtsdatum und Geburtsort, bei Nikolaj Magerko den Geburtsort. Woher die Gestapo die geänderten Daten hatte, lässt sich nicht nachvollziehen. Folge war, dass sie zunächst in die Sterbebucheinträge einflossen und von dort später in die Dokumente zum Ausländersuchverfahren. Quellenüberlieferung und Geschichtsschreibung wurden auf diese Weise beeinflusst.
Ebenfalls Fragen werfen Unterlagen in den Arolsen Archives auf, aus denen hervorgeht, dass ein Mann namens Nikolaj Magerko mit exakt dem gleichen Geburtsdatum und Geburtsort wie der bei der Firma Kärcher gemeldete Zwangsarbeiter am 22. Juli 1943 Häftling im Konzentrationslager Dachau wurde. Handelt es sich hier um dieselbe Person? Mehr Klarheit bringen könnte vielleicht ein Vergleich der persönlichen Unterschrift auf dem Anmeldeformular an die Stadt Winnenden und auf dem Effektenverzeichnis der Gefangenen-Eigentumsverwaltung des KZ Dachau.
Michaela Couzinet-Weber