Von der Stadt Winnenden ausgegebener Gutschein über 20 Milliarden Mark.
Winnenden und die Hyperinflation von 1923
Einleitung
Vor ziemlich genau 100 Jahren nahm die schon länger um sich greifende Geldentwertung in Deutschland und damit auch in Winnenden astronomische Ausmaße an. Diese Ausstellung geht zunächst auf die Ursachen der Hyperinflation ein. Daran anschließend richtet sich der Fokus auf die Situation im Herbst 1923. Thematisiert werden die Stimmung in der Bevölkerung angesichts der Preisentwicklung bei Gütern des täglichen Bedarfs und die Ausgabe von Notgeld durch die Stadt. Ein Blick auf die Zeit nach der Einführung der Rentenmark ergänzt die Darstellung.
Die Ursachen der Hyperinflation
Die Hyperinflation war eine Folge des Ersten Weltkriegs, der mit Hilfe von Kriegsanleihen finanziert wurde. Insgesamt neun Kriegsanleihen wurden aufgelegt, die letzte im September 1918. Bis zum 6. November war eine Zeichnung möglich. Allein bei der Bank für Gewerbe und Landwirtschaft Winnenden kamen 400.000 Mark zusammen. Das Volks- und Anzeigeblatt sprach am 9. November, zwei Tage vor dem Inkrafttreten des Waffenstillstands, von einem „wiederum schönen Resultat“.
1919 verpflichtete der Versailler Vertrag das Deutsche Reich zu hohen Reparationszahlungen an die alliierten Siegermächte, insbesondere an Frankreich. Die Reparationen mussten in Form von Sachgütern, Devisen und Goldmark geleistet werden. Anfang 1920 wies die Mark gegenüber dem US-Dollar nur noch ein Zehntel ihres Werts vom August 1914 auf. Infolge der instabilen politischen Situation – genannt sei etwa die im Januar 1923 beginnende Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen, die mit einem Lieferrückstand bei den Reparationen begründet wurde – ging der Währungsverfall unvermindert weiter.
Die Preisentwicklung am Beispiel von Brot, Strom und Zeitung
Für Güter des täglichen Bedarfs waren Preise zu bezahlen, die bislang unvorstellbar schienen. So belief sich der Höchstpreis für 930 Gramm Markenbrot im Oberamt Waiblingen in der Woche ab 17. September 1923 auf 1,2 Millionen Mark. Zum 8. Oktober betrug er mit 10 Millionen Mark bereits mehr als das Achtfache. Noch stärker kletterten die Strompreise nach oben. Für eine Kilowattstunde Lichtstrom verlangte das Elektrizitätswerk Winnenden ab 1. September 20 Millionen Mark. Einen Monat später kostete die gleiche Strommenge schon 6 Milliarden Mark, also genau das 300-fache. Durch die Decke ging der Bezugspreis für das Volks- und Anzeigeblatt. Zum 24. September wurde der Einzelpreis mit einer Million Mark angegeben. Am 1. November lag der Preis für eine Ausgabe bei 1,5 Milliarden Mark, was eine Steigerung um das 1.500-fache bedeutete. Der Höchststand wurde am 15. November erreicht – mit 25 Milliarden Mark pro Einzelnummer. Anstelle von Papiergeld nahm der Herausgeber auch Lebensmittel entgegen. Die gewünschten Mengen blieben relativ konstant. Am 1. Oktober wie am 3. November mussten Zeitungsbezieher für einen Monat unter anderem jeweils 15 Eier oder 40 Pfund Kartoffeln liefern.
Der Unmut der Bevölkerung über ihre wirtschaftliche Lage
Die Arbeitslöhne wurden zwar ebenfalls an die Inflation angepasst, aber zeitverzögert und nicht im gleichen Umfang. Viele Menschen gerieten dadurch in Existenznot, hauptsächlich Familien, die lediglich über ein Einkommen verfügten und keine Sachwerte besaßen. Der allgemeine Unmut entlud sich in Protesten. Am 12. September 1923 kam es zum sogenannten „Winnender Bauernkrawall“. Besucher des Viehmarkts versuchten das Rathaus zu stürmen, wohin Beamte der „Wucherpolizei“ einige Verkäufer „wegen angeblich zu hoher Preisforderung“ gebracht hatten. Offenbar musste eine Abteilung der Schutzpolizei aus Stuttgart geholt werden, um die Situation zu befrieden. Drei Tage später rief die Kommunistische Partei Winnenden Arbeiter, Kleinbauern und Kleingewerbetreibende über das Volks- und Anzeigeblatt zu einer „Demonstrations-Versammlung“ auf dem Marktplatz auf. Am 20. Oktober veröffentlichte die Lokalzeitung zudem einen Bericht der Ortsgruppe der NSDAP über eine Mitgliederversammlung im Gasthof zum Hirsch, die von Kommunisten gestört worden sei.
Das Notgeld der Stadt Winnenden
Bereits vor dem Ende des Ersten Weltkriegs gestattete die württembergische Regierung den Kommunen unter bestimmten Bedingungen die Ausgabe von Notgeld. In Winnenden wurde damals noch kein Bedarf gesehen. Das änderte sich im Krisenjahr 1923. Zwischen 21. September und 9. November ergingen diesbezüglich vier Gemeinderatsbeschlüsse.
Am 21. September trug Stadtpfleger Karl Wild dem Gremium vor, „dass es der Stadtpflege nicht möglich sei, für die nächste Zeit die laufenden Betriebsmittel aufzubringen“. Einen „Ausweg aus der gegenwärtigen Geldknappheit“ sah er in der Ausgabe von städtischem Notgeld. Wieder eingelöst werden sollte dieses im Frühjahr 1924 „durch die Erträgnisse aus dem Gemeindevermögen“. Speziell dachte er dabei an die Erlöse aus dem Verkauf von Holz. Nach eingehender Aussprache entschied der Gemeinderat mit zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung, „auf die Stadt lautende Gutscheine im Gesamtbetrag von -: 100 Milliarden Mark auszugeben“. Zur Durchführung der Maßnahme wurden Stadtschultheiß Georg Schmidgall und Stadtpfleger Wild bevollmächtigt.
Danach stellte die Druckerei Lämmle und Müllerschön Gutscheine über 5, 10, 20 und 50 Millionen Mark her. Auf der Vorderseite waren sie versehen mit von dem Winnender Kunstmaler Carl Dobler gezeichneten Stadtansichten und dem Datum 25. September 1923. Als Gültigkeitszeichen diente das damalige Stadtwappen. Zur Beglaubigung wurde auf der Rückseite der Stempel des Gemeinderats angebracht.
Am 5. Oktober 1923 stand das Thema Notgeld erneut auf der Tagesordnung des Gemeinderats. Stadtschultheiß Schmidgall berichtete, dass inzwischen „städtische Gutscheine im Betrag von 100 Milliarden Mark in 20 und 50 Millionen Markscheinen in Verkehr gebracht worden seien“. In Druck gegeben hatte man allerdings Gutscheine für zusammen 285 Milliarden Mark – deutlich mehr, als am 21. September beschlossen worden war. Die Stadtpflege beantragte nun, die restlichen Gutscheine nach Bedarf auszugeben. Dem stimmte der Gemeinderat zu. Am 11. Oktober teilte die Oberamtssparkasse Waiblingen der Stadtpflege Winnenden mit, dass sie sich am Vertrieb der Gutscheine beteiligen und ein Drittel der Herstellungskosten übernehmen würde.
Kurze Zeit später befand sich die Stadtpflege „wieder in großer Geldnot“. Im Protokoll zur Gemeinderatssitzung am 26. Oktober 1923 heißt es: „Die bereits ausgegebenen städt. Gutscheine […] bedeuten bei der fortgeschrittenen Geldentwertung nur noch einen untergeordneten Betrag.“ Es wurde beschlossen, „Gutscheine im Betrag von weiteren 15 Billionen Mark herstellen zu lassen und nach Bedarf in den Verkehr zu bringen“. Gedruckt wurden daraufhin jedoch insgesamt 20 Billionen Mark in Werten zu je 20 Milliarden Mark. Die Ausgabe der zusätzlichen 5 Billionen Mark genehmigte der Gemeinderat zwar am 9. November, legte aber gleichzeitig fest, dass alle von der Stadt in Umlauf gebrachten Gutscheine bis zum 15. Januar 1924 einzulösen seien. Damit wurde einer Vorschrift entsprochen, die von den Kommunen forderte, Notgeld entweder vom Reich genehmigen zu lassen oder andernfalls aus dem Verkehr zu ziehen.
Nach der Einführung der Rentenmark
Laut Bericht des Winnender Volks- und Anzeigeblatts ermächtigte Reichsfinanzminister Hans Luther die im Oktober 1923 gegründete Deutsche Rentenbank, „am 15. November mit der Ausgabe der Rentenbankscheine zu beginnen“. Die Rentenmark war eine grundschuldgestützte Übergangswährung, die bis zu den Währungsreformen von 1948 in allen alliierten Besatzungszonen Gültigkeit besaß. Der Wechselkurs zur Papiermark wurde am 20. November 1923 mit 1:1 Billion festgesetzt, während 1 US-Dollar 4,2 Millionen Papiermark oder 4,20 Rentenmark entsprach. Die Menschen nahmen das neue Geld gut an, sodass die Hyperinflation bald endete.
In Winnenden wurden bis Mitte Januar 1924 mehr als 2.000 Gutscheine über 13,3 Billionen Mark eingelöst und dem Stadtschultheißenamt übergeben. Der Gemeinderat nahm am 7. März Kenntnis von der Gesamtabrechnung der Stadtpflege. Anschließend wurden einige Serien des Notgelds in der Rathausregistratur aufbewahrt und die restlichen Gutscheine in Anwesenheit von Gemeinderat Off als Urkundsperson verbrannt.
1948 kam es in den drei westlichen Besatzungszonen, die im Jahr darauf die Bundesrepublik Deutschland bildeten, zur Einführung der Deutschen Mark. Sie sollte sich als stabile Währung erweisen und war auch nach der Wiedervereinigung 1990 zunächst das gesetzliche Zahlungsmittel. Am 1. Januar 1999 wurde die D-Mark als Buchgeld und am 1. Januar 2002 als Bargeld vom Euro abgelöst. Als nach Beginn des Ukrainekriegs 2022 die Geldentwertung in Deutschland zunahm, wurde zuweilen die Erinnerung an die Hyperinflation von 1923 wach, die im Kollektivgedächtnis der Bevölkerung als Einschnitt haften geblieben war.
Michaela Couzinet-Weber